Am 1. Dezember 1946, vor sechzig Jahren, gab sich das bayerische Volk in einem Volksentscheid mit knapp 71% die Verfassung des Freistaates Bayern, die am darauffolgenden Tag vom SPD-Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner ausgefertigt wurde und, "weil das Papier damals so knapp war", so der Festredner Rudolf Schöfberger, erst am 8. Dezember 1946 im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht wurde und damit in Kraft trat.
Das 60jährige Bestehen der Bayerischen Verfassung wurde deshalb am vergangenen Sonntag in Böhmfeld gefeiert. Rudolf Schöfberger, Landesvorsitzender der BayernSPD von 1985 bis 1991 und vormals langjähriger Landtags- und Bundestagsabgeordneter, ließ es sich nicht nehmen, auf Einladung von Bürgermeister Alfred Ostermeier im bis auf den letzten Platz besetzten Saal des Kotterhofes zu sprechen.
Der "rote Rudi" blickte in seinem Festvortrag weit zurück - nicht nur in die vergangenen 143 Jahre seit Bestehen der SPD, die nicht nur die älteste Partei Europas sei, sondern auch nicht sechs Mal ("wie gewisse andere") ihren Namen gewechselt habe:
Kaiser, Könige, Herzöge und Kurfürsten des Mittelalters, die mit ihren Kreuzzügen und Kriegen sowie Ihrem Luxusleben, bestehend aus Burgen, Schlössern, Gefolge, Wein, Weib und Gesang in ständiger Geldnot waren, bekamen von Adel und Geistlichkeit Schützenhilfe, Salbungsöl und Dukaten und verzichteten dafür -mehr oder weniger freiwillig, auch gerne die Unterstützung vergessend- auf ihre Privilegien.
Ob dieser Vergesslichkeit wurden schließlich die Versprechungen des Hochadels in Urkunden festgelegt, und so entstand die "Magna Charta libertatum" von 1215, die erste Verfassung des Hochmittelalters.
Doch mit dieser wie weiteren folgenden Verfassungen ging es noch nicht um das Volk und sein Schicksal. Die einfachen Menschen blieben noch Jahrhunderte völlig rechtlos. Sie mussten "knien und beten, schuften, frönen und blechen, und bei Bedarf auf den Schlachtfeldern verrecken!"
Zeitsprung: Der Freistaat Bayern, 1918 vom -übrigens sozialdemokratischen- Ministerpräsidenten Kurt Eisner ausgerufen, starb 1933. Im Januar 1933 wählte das „Volk der Dichter und Denker“ mit 42,8% die Nazis und damit Adolf Hitler, den "verkrachten Postkartenmaler aus dem Wiener Männer-Übernachtungsheim" zum Reichskanzler. Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 29.4.1933 schufen die Nazis auch im Bayerischen Landtag -unterstützt von allen bürgerlichen Parteien und gegen den Widerstand der SPD- die parlamentarische Demokratie in Bayern ab.
Was folgte, waren zwölf Jahre Schreckensherrschaft, Völkermord an sieben Millionen Juden, Sintis und Roma, ein verbrecherischer zweiter Weltkrieg mit 55 Millionen Kriegstoten, acht Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen, Coventry, Dresden, Hiroshima und Nagasaki.
"Ob das die 17% jungen NPD-Wähler von Mecklenburg-Vorpommern alle wissen? Dummheit kann genau so gefährlich sein wie Bosheit!" zog Schöfberger Bilanz zu den aktuellen Ergebnissen der dortigen Landtagswahlen.
Wilhelm Hoegner, geb. 1887, war schließlich Vater der Bayerischen Verfassung von 1946. Als Sohn eines Schrankenwärters gehörte er nicht zum Bürgertum, bekam aber ein königlich-bayerisches Stipendium und wurde schließlich Richter und Staatsanwalt. Als solcher wirkte er 1924 im Hitler-Ludendorff-Prozess mit und sorgte als SPD-Landtagsabgeordneter für einen Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags gegen Hitler, die Nazis und ihre Geldgeber. 1933 verlieh ihm der Völkische Beobachter den Ehrentitel: "Hoegner ist unser größter Feind im ganzen Reich!" Am 11. Juli 1933 floh Hoegner vor den Nazis zunächst nach Österreich, dann in die Schweiz.
Nach Kriegsende holte die US-Besatzungsmacht Hoegner aus dem Exil: 23 Gesetzesentwürfe, darunter den Entwurf der Bayerischen Verfassung, hatte er in seinem Rucksack, als er am 6. Juni 1945 mit einer Majorin der US-Armee von Zürich nach München fuhr. Am 29. September 1945 ernannte die US-Besatzungsmacht Hoegner zum bayerischen Ministerpräsidenten, und am 30. Juni 1946 wählte das Bayerische Volk eine Verfassungsgebende Landesversammlung. Nur drei wesentliche Änderungen erfolgten zum Hoegner-Entwurf der Verfassung, und die Militärregierung unter US-General Lucius D. Clay stellte mit Kennerblick fest: "Der bayerische Verfassungsentwurf ist besonders voll von sozialistischer Philosophie."
Vom geschichtlichen Rückblick zog Schöfberger zum aktuellen Tagesgeschehen Resümee: Bedauerlich sei, dass manche Verfassungsartikel missachtet würden, wie jener mit der Nummer 151, der besage: Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit diene dem Gemeinwohl. "Dienen 200 Millionen Schmiergeldkassen dem Gemeinwohl?", fragte Schöfberger mit Hinweis auf eine Bank und mehrere Konzerne.
Viel Beifall und das Lob "Guat host g´redt und schee host g´redt" erntete Schöfberger von Alfred Ostermeier für den Geschichtsunterricht. Der Böhmfelder Bürgermeister sah Schöfberger auch als Ermutigung, sich für die Ideale der Verfassung einzusetzen. Er nannte dazu Beispiele wie die Bodenbewirtschaftung vor Ort. Sehr dringend fand er, die Themen Jugend, Schule und Kultur ernster zu nehmen. Großes Lob am Ende erntete auch für die exzellente musikalische Begleitung das Lentinger Duo Winkler in bayerischer Tracht.